Christof Paulowitz / Die Arzttasche meines Vaters

Inv.Nr. 660

Farbradierung v. 3 Platten (30 x 42 cm) auf Zerkall-Büttenpapier, Auflage: 33/150, 1995

 

Die Arzttasche meines Vaters

Einem glücklichen Umstand verdanke ich, dass mir das Vorhandensein der Arzttasche meines Vaters bekannt wurde. Mein älterer Bruder hatte die Möglichkeit, dieses schöne Stück aus der Erbengemeinschaft vor dem Untergang zu retten. Die Tasche erwies sich als wahre Fundgrube von glänzenden Metallschachteln, von alten wunderschönen Instrumenten, dem Fiebermesser, der so manches Jugendfieber festgestellt hatte, den gefürchteten Nadeln, der Spritze und dem schon brüchigen Gummischlauch vom Stethoskop, das den letzten Herzschlag des Großvaters zum Ohr leitete. Viele Instrumente, die an mir bei Bewusstsein oder in Narkose erprobt wurden, waren da vorhanden und ein Mediziner musste mir den Verwendungszweck von Urometer, Haltehaken und Skalpell erklären. Manchen Ferienaufenthalt in unserer Schulzeit verbrachten wir Geschwister durch diese Geräte im Krankenhaus, das unser Vater leitete. Eitrige Mandeln und Wurmfortsätze wurden beim leisesten Anhauch von Beschwerden entfernt, um so dem Rest der Familie – nur zwei Geschwister fanden neben den Eltern Platz im damaligen Kleinauto – eine Reise in den Süden zu ermöglichen. Besonders die Osterferien mit der Auferstehungsfeier in Rom erwiesen sich für solche Urlaube meines Vaters als günstig. Mit einem Blinddarm und einem Paar Mandeln traten wir fünf Geschwister ins Erwachsenenalter ein.

Text: Christof Paulowitz

Foto: H. Oman

  • Druckgrafik, Kunst, Paulowitz